Heutige Etappe: 77,4 km zzgl. 8 km mit der Fähre
Gesamtstrecke: 1.375,91 km.
Fahrtzeit (netto): 04:18 Stunden
Ø Geschwindigkeit: 18,0 km/h
780 Höhenmeter
Übernachtung in Pfullendorf (Pension)
Sonntag, 09.08.2020 – Die Nacht in der Obstplantage war relativ ruhig. Es raschelt zwar immer wieder in dem benachbarten Waldstück, aber das störte mich eigentlich nicht. Was mich mehr störte, waren die Äpfel, die ich vergessen hatte unter meiner Isomatte wegzunehmen und die eine oder andere Stechmücke.
Gegen 05:30 Uhr war die sehr kurze Nacht für mich beendet, da wegen der drückenden Äpfel und dem zunehmend lauter werdenden Verkehr an Schlaf nicht mehr zu denken war. Noch etwas zerknittert krabbelte ich aus meinem Schlafsack und bemerkte, dass ich in der Nacht wohl auch die eine oder andere Nacktschnecke zu Besuch hatte. Denn ihre schleimigen Spuren waren auf meinem Schlafsack und auf meiner Isomatte zu sehen. Aber das störte mich nicht wirklich, da ich beruflich bedingt schon ganz andere Sachen gewöhnt war und so fuhr ich gegen kurz vor 7 Uhr weiter Richtung Bodensee.
Nur einen Kilometer nach meiner Abfahrt fand ich mit dem “B33 Frischeländle” (Link auf Google Maps) eine gemütliche Bäckerei mit Sitzgelegenheit. Dort genehmigte ich mir zur Stärkung erst einmal ein belegtes Brötchen, eine Streuselschnecke und leckeren heißen Kaffee. Als ich weiterfahren wollte, sprach mich auch ein Mann am Nachbartisch an und sofort waren sie wieder, da die typischen Gespräche über Radwanderer und meine ganz spezielle Mission. Nach der Verabschiedung und den üblichen Wünschen für eine weiterhin gute und unfallfreie Weiterreise, stieg ich wieder auf’s Rad.
Nach gut einer Stunde und 24 Kilometern tauchte endlich der Bodensee am Horizont auf, auf den ich mich schon so lange gefreut hatte. In Meersburg am Bodensee angekommen, hielt ich entgegen meiner Planung doch an, zog meine Badehose an und sprang um 09:30 Uhr in das 24° Grad warme türkisfarbene Wasser. Nach der gestrigen Hitzschlacht und der fehlenden Dusche eine Wohltat für Körper und Seele. Nach ein paar Runden im See, legte ich mich noch auf meinen Poncholiner und ließ mich von der schon wieder extrem heißen Sonne trocknen. Schweren Herzens packt ich nach ca. 30 Minuten wieder alles zusammen und machte ich auf den Weg zur Fähre. Hätte ich nicht so einen Zeitdruck gehabt, ich wäre ganz sicher bis zum Mittag am See geblieben.
Aber es half alles nichts und so fuhr ich langsam und entspannt Richtung Anlegestelle der Fähre nach Konstanz und genoss dabei die schönen Ecken von Meersburg. Während sich die Fähre ihren Weg durch das türkisfarbene Wasser des Bodensee’s bahnte und wir uns immer mehr meiner Heimatstadt von 1970 – 1975 näherten, desto mehr stieg auch meine Nervosität, was mich dort erwarten würde. Wie schon so oft, wurde ich auch auf der Fähre von einigen Leuten angesprochen.
Kaum war ich von der Fähre runter, kamen auch schon wieder ganz vage Erinnerungen, wie ich zusammen mit meinem Bruder und meiner Oma väterlicherseits an der Kaimauer stand und ein Foto von uns gemacht wurde. Plötzlich fiel mir auch wieder ein, dass mein Vater damals in der Schweiz in einem papierverarbeitenden Betrieb gearbeitet hatte. Erinnerungen, die ich nahezu vergessen hatte und die jetzt wieder an die Oberfläche kamen. Nachdem ich das sacken gelassen hatte und meiner Frau am Telefon von der wunderschönen Innenstadt erzählt und ihr auch meine Nervosität geschildert hatte, machte ich auf dem Weg zum Lorettosteig Nr. 1, unserer damaligen Wohnadresse.
Dort angekommen, hörte ich im Garten das Geschirr klappern und leise Gespräche. Kein Wunder, schließlich war es Mittagszeit und dazu noch Sonntag und da wollte ich erst einmal nicht stören. So nutzte ich die Zeit und schaute schon mal ganz vorsichtig über die Hecke und entdeckte die Terasse, von der ich auch ein Foto als Beweis dabei hatte. Auf dem Foto war ich als kleiner Junge zusammen mit unserem Hund Tasso, meiner Mama, meinem Bruder Karsten und meiner Oma väterlicherseits abgelichtet.
Nach rund 20 Minuten fasste ich all meinen Mut zusammen, obwohl ich mich erst nicht so wirklich traute und schob mein Fahrrad Richtung Eingangstür. Hinter einer Hecke im Innenhof saß ein Paar, welches, wie sich im Laufe des weiteren Gespräches herausstellte, im ersten Obergeschoss wohnten. Beide waren, ebenfalls wie meine Eltern damals, seit 1985 die Hausmeister der Baptistengemeinde (also nur rund 10 Jahre nach unserem Wegzug aus Konstanz). Ich stellte mich kurz vor, erzählte ihnen von meiner Mission und sofort waren wir im Gespräch. Freundlich bot man mir einen Stuhl, kühles Wasser sowie später auch noch einen Espresso an. Schnell waren wir auch per Du und Gabi und Kai waren von der Idee meiner Tour mehr als angetan.
Ich erzählte ihnen, wie ich das Anwesen noch im Kopf hatte, wo damals was stand und was ich so erlebt hatte. Wie z.B. den Sprung von der Garage mit dem Regenschirm, weil ich meinte, Fallschirmspringer zu sein. Die Garage existierte zwar nicht mehr, aber Kai erinnerte sich noch dran. Oder auch wie oft unsere Schildkröte immer ausgebüxt war und die Nachbarn von nebenan diese immer wieder vorbei brachten. Ganz erstaunt waren sie auch, dass die Terasse heute noch immer so ausschaut wie Anfang 1970, lediglich die Blumenumrandung fehlte.
Beide glaubten auch, sich an meinen Nachnamen zu erinnern und meinten, dass die alte Familie Sitzlach, die im Dachgeschoss wohnt, meine Eltern auch noch gekannt haben müssten. Wie ich deren Namen hörte, erinnerte ich mich ebenfalls sofort an den Namen bzw. er war mir nicht neu. Warum und wieso konnte ich nicht sagen und leider waren die Sitzlach’s nicht zuhause. Das Zusammentreffen wäre sicherlich sehr interessant geworden, da sie mich ja dann auch noch als kleinen Jungen in Erinnerung haben mussten.
Im Anschluss wurde ich von Kai herumgeführt und es kam immer wieder einige Kindheitserinnerungen hoch. Lediglich in ihrer Wohnung, die mir auch gezeigt wurde, hatte ich überhaupt keine Verknüpfungen, obwohl sie vom Grundriss wie unsere Wohnung im Erdgeschoss war. Erst als ich die Essecke sah, erinnerte ich mich schlagartig daran, dass wir damals französische Austauschsschüler zu Gast hatten und ich das damals als 7-jähriger total faszinierend fand.
Danach setzten wir uns noch einmal in den schattigen Garten und ich wollte mich schon verabschieden, als Pastor Michael Hüttel nach Hause kam. Auch er wollte vieles über mich, meine Geschichte und meine Eltern wissen. Schließlich boten mir Gabi und Kai sogar ihr Gästezimmer zum übernachten an. Ich war tatsächlich kurz am überlegen, aber dann hätte ich den Zieleinlauf am Freitag auf gar keinen Fall mehr geschafft. So bedankte ich mich nach gut 2 Stunden voll Dankbarkeit für die Gastfreundschaft und versprach aber einen erneuten Besuch, wenn ich mit meiner Frau Urlaub am Bodensee mache.
Danach fuhr ich mit dem Rad den Weg weiter, den ich als Junge früher auch immer zum Baden am Bodensee gegangen war oder wenn wir das Seenachtsfest von ganz oben beobachten wollten. Hier konnte ich mich noch erinnern, dass ich im Bodensee das schwimmen auf eine lebensgefährliche Art und Weise gelernt hatte. Ich war damals Nichtschwimmer bzw. konnte nur mit Schwimmflügeln schwimmen. Irgendwann wollte ich aber nicht mehr mit Schwimmflügeln schwimmen und so ging ich heimlich an den Bodensee. Ich ging ohne Schwimmflügel immer weiter in den See, bis ich grad noch mit der Nase über Wasser war, machten einen Satz nach vorne und schwamm regelrecht um mein Leben. Der Plan ging zwar auf, hätte aber auch böse enden können. Als ich dies am Abend freudestrahlend meinen Eltern verkündete, bekam ich statt Lob mächtig Ärger und ich glaube auch eine Tracht Prügel von meinem Vater.
Von dort ging es weiter zur Allmannsdorfer Grundschule, an die ich bis auf die Eingangstreppe und dass ich hier 1972 eingeschult wurde, keinerlei Erinnerungen mehr hatte. So beendete ich meine Station in Konstanz und fuhr ca. 6 Kilometer bis zur Fähre die mich nach Überlingen bringen sollte. Leider hatte ich bei Gabi und Kai vergessen, den Akku vom Fahrrad zu laden, gleiches galt auch für mein Handy und die Powerbank. Den fehlenden Saft im Fahrrad-Akku sollte ich kurz hinter Überlingen noch schmerzlich vermissen. Den Handyakku und die Powerbank konnte ich Gott sei Dank noch ein wenig an Bord laden, während ich mit dem Kapitän über meine Tour ins Gespräch kam. Denn wären mir diese ausgefallen, hätte ich wegen fehlender Navigation und auch dem fehlenden Telefonieren ein echtes Problem gehabt.
Ab Überlingen war ich nun also gezwungen, mein E-Bike fast ausschließlich mit Muskelkraft zu betreiben um Reserven für Notfälle zu haben. Ich hatte aber vergessen, dass das Geländeprofil zwischen Überlingen und meinem geplanten Übernachtsungsort Pfullendorf sehr schwierig war. Mit Flüchen des Todes kämpfte ich mich die Anhöhen hoch, immer mit der Sorge, dass der Akku vorzeitig den Geist aufgibt. Mit letzter Kraft erreichte ich schließlich meine Pension in Pfullendorf, die zum Schlafen ausreichend war, aber das war es dann auch schon. Die 35,00 € hätte ich mir auch sparen können, denn mangelnde Sauberkeit war das eine, abenteuerlich verlegte Stromleitungen und Lichtschalter bzw. Steckdosen die nicht funktionierten, waren das andere. Aber ich brauchte in der Nacht auf jeden Fall Strom, denn der nächste Tag sollte laut Blick in die Karte noch einmal richtig anstrengend werden.
Nachdem ich lecker chinesisch gegessen hatte, telefonierte ich noch kurz mit meiner Tante und kündigte mich bei ihr für den Dienstag an, da es von Pfullendorf aus noch rund 125 Kilometer waren. Ich sagte ihr auch, dass ich bei der Hitze von 38° C die momentan hier herrsche, diese 125 Kilometer nie in einer Etappe schaffen würde, ich mich aber auf jeden Fall am Montag noch bei ihr melden würde. Völlig erschöpft schlief ich schließlich in dem wackeligen und viel zu weichen Bett ein.